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WBI-Print 17

Validierung eines Berechnungsverfahrens für Tunnelbauwerke in quellfähigem Gebirge.

Artikelnummer: WBI-Print 17 Kategorie:

Vorwort des Herausgebers

Das hohe Quellvermögen der Gesteine des unausgelaugten Gipskeupers in Süddeutschland und der Schweiz bei Wasserzutritt hat in den vergangenen Jahrzehnten häufig Probleme beim Tunnelbau in dieser Formation verursacht, die bereits während der Bauphase oder später kostspielige Sanierungsmaßnahmen erforderlich machten. Diese waren bedingt durch große Sohlhebungen bei Tunnels mit offener Sohle oder durch große Quelldrücke und ein dadurch verursachtes Versagen der Tunnelinnenschale. Beispielhaft sind hier der Kappelesbergtunnel, der Schanztunnel, der Wagenburgtunnel und der Engelbergbasis­tunnel in Deutschland sowie der Belchentunnel in der Schweiz zu nennen. Heutzutage werden Verkehrstunnel entweder nach dem „Widerstandsprinzip“ oder dem „Ausweichprinzip“ ausgeführt. Beim Widerstandsprinzip muß die Innenschale dem Quelldruck widerstehen, während beim Ausweichprinzip durch Anordnung einer sogenannten „Knautschzone“ unterhalb der Sohle Quelldehnungen zugelassen werden, die zu einer Reduzierung des Quelldrucks führen sollen.

Um den Herausforderungen des Tunnelbaus in quellfähigem Gebirge erfolgreich begegnen zu können wurden im Rahmen meiner Tätigkeit seit den 70er Jahren, zunächst an der RWTH Aachen und später in meinem Ingenieurbüro WBI, eine Reihe von Forschungsarbeiten mit dem Ziel durchgeführt eine zuverlässige Bemessung und Ausführung von Tunnels in quellfähigem Gebirge zu ermöglichen. Diese bestanden in der Entwicklung und Weiterentwicklung eines Berechnungsverfahrens nach der Methode der finiten Elemente (FEM) für die beim Bau eines Tunnels auftretenden dreidimensionale Spannungs- und Verformungszustände. Daneben wurden auch Entwurfsgrundsätze für das Auffahren von Tunnels in quellfähigem Fels aufgestellt und in der Praxis umgesetzt. Diese beinhalten unter anderem die Notwendigkeit für einen trockenen und gebirgsschonenden Ausbruch, um Wasserzutritte, die durch Auflockerungen verursacht werden können, zu vermeiden. Durch Anwendung der Berechnungsverfahren und der Entwurfsgrundsätze konnten verschiedene, im unausgelaugten Gipskeuper liegende Tunnel erfolgreich nach dem Widerstandsprinzip ausgeführt werden, an denen in den Folgejahren keine Schäden aufgetreten sind.

Die letzte Entwicklungsstufe der Berechnungsverfahren für quellfähigen Fels stellt das von Herrn Dr. Martin Wittke in seiner Dissertation entwickelten Berechnungsverfahren dar (WBI-Print 13). Hierin werden quellbedingte Spannungen und Dehnungen, die in den Trennflächen stattfindende Sickerströmung und die kapillare Wasseraufnahme des Gesteins miteinander gekoppelt. Damit konnte eine Abdichtung der Trennflächen im Gebirge durch Quellen bei nach dem Widerstandsprinzip aufgefahrenen Tunneln theoretisch nachgewiesen werden. Diese „Selbstabdichtung“ führt dazu, daß die zum Quellen notwendige Wasserzufuhr nur mehr über Diffusion durch das Gestein erfolgen kann. Diese Art des Wassertransports erfordert aber extrem lange („geologische“) Zeiträume.

Praktisch bedeutet das, daß man einen solchen Tunnel nicht wie bisher gegen den vollen Quelldruck bemessen muß, der sich bei vollständiger Wassersättigung im Gebirge einstellt, sondern gegen einen erheblich geringeren Quelldruck, der dem Sättigungsgrad entspricht, der sich aus der Lebensdauer des Bauwerks ergibt. Dadurch ergeben sich bei der Bemessung der Innenschale hinsichtlich der Kubatur des Ausbruchs erhebliche Einsparpotentiale.

Herr Wahlen hat sich in seiner Dissertation das Ziel gesetzt, das von Herrn Dr. Wittke entwickelte Berechnungsverfahren zu validieren und an den Ergebnissen der im Untersuchungsstollen U1 für den Freudensteintunnel über 20 Jahre hinweg durchgeführten Messungen zu kalibrieren.

Im der Einleitung erläutert Herr Wahlen das Ausweich- und Widerstandsprinzip und die Bedeutung einer Selbstabdichtung für eine sichere und wirtschaftliche Dimensionierung des Tunnelausbaus.

In der Literaturübersicht wird auf die grundlegenden Arbeiten, in denen die unterschiedlichen Quellmechanismen erklärt werden, hingewiesen. Weiterhin werden Artikel zitiert, in denen über die Erfahrungen bei in quellfähigem Fels ausgeführten Tunnelprojekten berichtet wird. Schließlich geht Herr Wahlen auf die aus Versuchsergebnissen abgeleiteten Stoffgesetze und die daraus entwickelten Berechnungsverfahren zur Beschreibung des Quellens ein.

Anschließend werden in kompakter aber präziser und gut verständlicher Form die komplexen mechanischen und rechnerischen Grundlagen des von Herrn Dr. Wittke entwickelten Berechnungsverfahrens beschrieben.

Im nächsten Kapitel wird dieses Modell im Sinne einer ingenieurmäßigen Anwendbarkeit des Berechnungsverfahrens vereinfacht. Die Vereinfachungen werden anhand einer Interpretation der Ergebnisse einer Vielzahl von Labor- und Feldversuchen begründet. Dies führt zu einer deutlichen Reduzierung der als Eingangsdaten benötigten Parameter.

Es folgt eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse der im Untersuchungsstollen U1 für den in den Jahren 1984 bis 1991 gebauten Freudensteintunnel über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren durchgeführten geotechnischen Messungen. Nach einer kurzen Beschreibung der Geologie und der Bauausführung des Haupttunnels werden die einzelnen im Untersuchungsstollen angeordneten Blöcke, die nach dem Ausweichprinzip, dem Widerstandsprinzip und mit verankerter Sohlplatte ausgebildet wurden, erläutert. Die Meßergebnisse werden anschaulich dargestellt und analysiert.

Einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit stellen die Kalibrierungsberechnungen zur Validierung des Modells dar. Dazu werden in einem ersten Schritt Vorberechnungen durchgeführt, in denen die für die Diskretisierung erforderliche Netzfeinheit ermittelt wird. Im nächsten Schritt führt Herr Wahlen eine Sensitivitätsstudie durch, in der die maßgeblichen Kennwerte des Modells variiert werden. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Sensitivitätsstudie ist es Herrn Wahlen gelungen eine Kennwertkombination zu finden, mit der die an den unterschiedlichen Blöcken erhaltenen Meßergebnisse gut wiedergegeben werden können. Die mit dieser Kennwertkombination erhalten Ergebnisse werden zunächst für das Widerstandsprinzip ausführlich und anschaulich dargestellt und den Meßergebnissen gegenübergestellt. Hier werden auch die Einflüsse einer Variation der maßgeblichen Eingangsgrößen auf die Ergebnisse aufgezeigt. Anschließend wird auch für das Ausweichprinzip und das Konstruktionsprinzip der verankerten Sohle die Übereinstimmung der Berechnungsergebnisse mit den Meßergebnissen gezeigt.

Mit den Kalibrierungsrechnungen konnte Herr Wahlen nachweisen, daß im Untersuchungsstollen U1 eine Selbstabdichtung des Gebirges stattgefunden hat. Die errechneten Sättigungsgrade im Gebirge und damit auch die Quelldrücke sind gering, so daß infolgedessen bei zukünftigen Projekten eine entsprechend geringe Quellbeanspruchung der Innenschale zu erwarten ist. Damit dürfte eine weitere Voraussetzung dafür geschaffen sein, die Selbstabdichtung mit ihren positiven Konsequenzen für die Bemessung eines in quellfähigem Fels aufgefahrenen Tunnels in Ansatz zu bringen. Dieses Ergebnis der Arbeit von Herrn Wahlen ist für die Praxis sehr wertvoll.

Die Arbeit wurde durch die Bereitstellung der Meßergebnisse aus den Versuchsstollen des Freudensteintunnels ermöglicht. Hierfür danke ich der DB Projekt GmbH.

Ich hoffe, daß die Lektüre des vorliegenden Heftes gewinnbringend für die Leser sein wird.

 

Walter Wittke

Datum

23.06.2022